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18.4.2015, Winterthur: Der Tagungsraum war voll besetzt, und die Fachvorträge gehaltreich: Die erste VESE-Tagung nach der Gründung vom Verband im September 2014 ist ein schöner Erfolg. Über 50 unabhängige Energieerzeuger – insbesondere professionelle und private Betreiber von Solarstromanlagen – haben sich in VESE zusammengeschlossen. Zusammen mit 22 Kleinanlagenbetreiber produzieren die als Genossenschaft, Verein, GmbH oder AG organisierten VESE-Mitglieder mit gut 200’000 m2 Solarzellen jährlich über 28 Mio kWh Solarstrom.
Themen waren das Zusammenspiel der Photovoltaik (PV) mit Dachbegrünung und Absturzsicherheit sowie zukünftige Geschäftsmodelle und Dienstleistungen für PV-Betreiber. Aufgrund der knappen Wirtschaftlichkeit ist man als Bauherr und Betreiber von PV-Anlagen auf Kosteneinsparungen fokussiert. Wird jedoch in der Planung das Thema Dachbegrünung und Absturzsicherung unterschätzt, kann das schwerwiegend-unerwünschte Folgen im Betrieb haben.
Besichtigt werden konnte ein kleines PV-Dachbegrünungs-Projekt vom Institut für Energiesysteme und Fluid-Engineering mit Andreas Dreisiebner von Solarspar: Ein stehendes bifaciales PV-Modul erntet mehr Strom als ein gegen Süden geneigtes und stünde weniger in Konflikt mit der Gründach-Wartung.
Pflegeintensive Dächer mit PV-Anlagen
Die Firma Tecton bewirtschaftet als Abdichtungsunternehmen über 4 Mio m2 Dachfläche und trifft auf viele PV-Anlagen, deren Ertrag von der Dachbegrünung gemindert ist. Je nach Dachaufbau kann die Vegetation eines Gründachs durch die Beschattung der PV-Module besonders stark wuchern. Die Gründach-Pflege zwischen den PV-Modulen ist aufwändig. Module können verschmutzt oder beschädigt werden, und beim Einsatz von Fadenschneidern besteht die Gefahr, versteckt-verlegte DC-Kabel anzuschneiden. Die Dachbegrünung muss mindestens 2x jährlich gepflegt werden. Im Worst-Case kostet die Gründachpflege mehr als 50% vom Stromertrag. Für viele PV-Anlagebetreiber ist beschattendes Grün eine lästige Überraschung. Doch man muss aus der Erfahrung lernen, und die Unterhaltskosten insbesondere bei Dachmietverhältnissen frühzeitig berücksichtigen.
PV und Gründächer sollen keine Konkurrenz sein
Dass der potentielle Minderertrag durch Abschattung signifikanter ist als ein Ertragsgewinn von höchstens 5%, den die PV-Module aufgrund einer kühleren Dachtemperatur erwirtschaften könnten, will auch Stefan Brenneisen von der Fachhochschule Wädenswil nicht abstreiten. Der Vortrag vom Leiter der Forschungsgruppe Dachbegrünung öffnet den Anwesenden jedoch den Horizont, weshalb man in Kombination mit PV die Dachbegrünung nicht grundsätzlich vermeiden sollte. Die Motivation zum Betrieb von PV-Anlagen ist oft ökologischer Natur, und es ist erfreulich, dass die Biodiversität auf Gründächern mit PV-Anlagen höher sein kann als auf „unbeschatteten“ Gründächern. Neben der PV-Anlage nur eine Ecke für die Begrünung frei zu halten, sei keine Lösung: Auf einer kleinen Fläche können nicht viele Arten nebeneinander existieren. Gründächer ersetzen karge Flusslandschafts-Biotope, die von Stadt und Agglomerationen verdrängt wurden. Das saugfähige Substrat dient auch der Wasserretention, sodass die städtische Kanalisation bei starkem Niederschlag weniger Spitzenvolumen auffangen muss.
In den Grossstädten wird sich der Klimawandel akzentuieren: „Urban Heat Island“ nennt man den Effekt, der die Temperatur in Städten gegenüber dem Umland aufgrund der fehlenden Grünflächen um mehrere Grad ansteigen lässt. Es macht wenig Sinn, mit PV-Anlagen Gründächer zu konkurrenzieren, um letztendlich nur den Strom für zusätzlich notwendig werdende Klimaanlagen zu produzieren.
Unterschätztes Absturzrisiko
Unter anderem zur Gründachpflege ist ein Absturzsicherungssystem unabhängig von der PV-Anlage nötig. Dennoch sind die Fixierungspunkte und deren Kosten ein Thema für PV-Bauherren. Vor allem muss ein PV-Betreiber über die Nutzung und Unterhaltspflicht Bescheid wissen – auch wenn zwischen Forderungen und Praxis oft eine grosse Lücke klafft. Seilsysteme und Anschlagpunkte müssen jährlich kontrolliert werden. Für Betreiber mehrerer PV-Anlagen kann es sinnvoll sein, sich in einem Tageskurs zur Wartung schulen zu lassen. Oder die Gründach-Wartungsfirma mit dieser Aufgabe zu betrauen. Wenn ein Dach über mehrere Jahre nicht begangen wird, gilt es als gesperrt, bis das Absturzsicherungssystem wieder von einem Wartungs-Berechtigten kontrolliert und freigegeben wird. Die Firma Gabs hat die Vielfalt ihrer Systeme und ihrer Erfahrung präsentiert. Im Vergleich zu einem umlaufenden Seilsystem kostet eine Lösung mit Einzelanschlagpunkten weniger als die Hälfte; ein (klappbares) Geländer als Kollektivschutz kostet hingegen mehr als das fünffache. Die hohen Kosten sind jedoch auch mit einer höheren Nutzungsfreundlichkeit und -wahrscheinlichkeit verbunden. Bei Arbeiten von über 2 Manntagen auf dem Dach ist ohnehin ein Kollektivschutz vorgeschrieben.
Erfahrungsaustausch unter PV-Betreibern
Zur Reinigung arbeiten deutsche Spezialisten oft mit Teleskopstangen von Hebebühnen aus – inwiefern komplexe Roboter preiswerter sein können, ist fraglich. Zur Entkalkung werden Wasseraufbereitungsgeräte eingesetzt – kalkhaltiges Leitungswasser oder Chemie hinterlässt auf PV-Dächern unerwünschte Spuren.
Der Anlass wie der Verband selbst dient dem Erfahrungsaustausch unter Betreibern von Solarstromanlagen. Leider war das angesetzte Tagungszeitfenster deutlich zu kurz für die vielfältigen Vorträge und die regen Diskussionen beim Pausen-Apero – im nächsten Jahr sollte mehr als einen Halbtag zum Erfahrungsaustausch eingeplant werden. Der offizielle Teil der Generalversammlung im Anschluss musste entsprechend kurz ausfallen, doch die Bilanz der ersten 7 Monate lässt sich sehen. Neben Newslettern und einem Forum zum Erfahrungsaustausch hat VESE zum Thema KEV-Absenkung und Strommarktöffnung die Interessen von unabhängigen Energieerzeugern in den politischen Vernehmlassungsprozess eingebracht. Zudem werden Dienstleistungen für einen kosteneffizienten Betrieb angeboten: Seit April neu auch eine preiswerte Internetplattform zur PV-Fernüberwachung.
Zukunft im Messwesen
Die unabhängig-preiswerte Lastgangmessung der SwissMetering AG wäre eine weitere Dienstleistung, die bis zum Entscheid vom Bundesgericht jedoch noch vom Goodwill des bislang messenden Elektrizitätswerks abhängt. Valentin Gerig informiert über den Stand vom Verfahren: Bis Stromproduzenten ihren Messdienstleister frei wählen können, werden noch mindestens 3 Jahre vergehen. Erstaunlich sind einerseits die regional sehr unterschiedlichen Kosten von 0 bis 1200 CHF/Jahr, anderseits die primitive Funktion der Lastgangmessung im Vergleich zu einem Smart-Meter. Netzbezug und -rückspeisung werden über eine Viertelstunde summiert und (nur) täglich übermittelt. In Zukunft sollte die Kommunikation im Zusammenspiel mit der umfangreicheren PV-Fernüberwachung funktionieren können.
Haben Bürgerbeteiligungs-Modelle im Strommarkt Zukunft?
Die Herausforderungen für Solargenossenschaften im Hinblick auf die anstehende Politik und KEV-Absenkung hat Walter Sachs, Präsident von VESE, zusammengefasst und zur Diskussion gestellt. Neu angemeldete PV-Anlagen werden in den nächsten 5 Jahren kaum eine KEV-Zusage erhalten. Alternative Stromvermarktungswege sind gefragt. In Mehrfamilienhäusern können zum Eigenverbrauch „Solarvereine“ gegründet werden (Beispiel: Verein NEZ / Wohngenossenschaft Rossfeld). Bestehende PV-Betreiber könnten sich als Finanzierungs- und Betriebs-Dienstleister positionieren, doch die Wirtschaftlichkeitsrechnung wird bei Eigenverbrauchs-Lösungen komplexer und die Risiken sind nicht zu vergleichen mit einer sicheren kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV).
Dass Elektrizitätswerke selbst die Chancen von erneuerbaren Energien erkennen, ist einerseits erfreulich, anderseits sollte damit nicht ein breites Bürger-Engagement geschwächt werden. Erste Elektrizitätswerke bieten ihren Kunden die Möglichkeit, Solarstrom gewissermassen vorzufinanzieren und für umgerechnet 12 bis 20 Rp/kWh über 20 Jahre zurück zu erhalten (Beispiele ewz und Suhr Solar). Netznutzung und Systemdienstleistungen werden zusätzlich verrechnet. Im Hinblick auf eine kommende Strommarktliberalisierung dienen solche Angebote auch der Kundenbindung. Die Strommenge, welche über den Solarstrom-Anteil hinaus geht, muss über 20 Jahre vom Anbieter bezogen werden – zu welchem Preis? Der Solarstromkunde hat die PV-Anlage vorfinanziert, ist jedoch nicht Eigentümer.
Ähnlich, aber in letzterem Punkt anders, hat sich die GRABSolar AG organisiert: Die ortsansässigen Aktionäre sind Eigentümer der PV-Anlagen und beziehen ihren Solarstrom über eine Vereinbarung mit dem lokalen Elektrizitätswerk, das auch als Aktionär involviert ist.
Es besteht eine grosse Gestaltungsvielfalt in der Organisation der Bürgerbeteiligung und neue Stromvermarktungsmodelle entwickeln sich. Eine faire Kooperation mit innovativen Elektrizitätswerken kann zukunftsweisend sein. Der Verband unabhängiger Energieerzeuger steht für die Interessen jener ein, die im Sinne einer nachhaltigen Zukunft dezentral Energie produzieren wollen. Wer selbst am Betrieb einer PV-Anlage beteiligt ist, unterstützt auch politisch die Energiewende. Wird die Partizipation der Bürger an der Energiewende ausgebremst, kann damit die Energiestrategie 2050 politisch und technisch zu Fall gebracht werden.
Für den VESE-Vorstand
Heini Lüthi, 20.4.2015